Eine Zeitreise nach Preussen

Auf der Strasse sieht man Chalets mit Blechdächern und überraschend viele grosse, blonde Menschen, keine Ausländer. Auf der Speisekarte stehen Schnitzel, Gulasch mit Spätzle und Strudel. Man fühlt sich wie in den Alpen, nur das Grün der Natur ist anders. Das hat auch einen guten Grund: Wir sind in Pozuzo, wo vor 166 Jahren deutsche und österreichische Siedler ankamen. Doch wie landen wir überhaupt da?

Ein paar Tage zuvor sitzen wir frierend in Huancayo auf über 3200 Metern über Meer und suchen langsam verzweifelt nach einem wärmeren und schöneren Ziel. In der Höhe ist die Landschaft zwar atemberaubend (im wahrsten Sinne des Wortes), aber meist eher karg und kalt, und irgendwann sehnt man sich nach etwas Abwechslung.

Auf der Karte finden wir auch etwas: ca. 300 km entfernt, ca. 10 Stunden Fahrt. Das Dorf soll 1900 Meter hoch liegen und im ewigen Frühling leben. Hört sich gut an. Also packen wir alles zusammen und fahren nachOxapampa.

Unterwegs werden wir bei einem kurzen Stopp angesprochen. Auf Schweizerdeutsch! Und dann gleich zu einem Bier am Abend eingeladen. Das fängt ja ganz gut an, denken wir. Ausserdem wird es endlich wieder grün, denn es geht Richtung Amazonasgebiet, entlang der Ostflanke der Anden.

Einfahrt nach Pozuzo.

Bauer und Handwerker sollen den Amazonas in Peru besiedeln

Das Tal von Oxapampa bis Codo del Pozuzo ist einzigartig: landschaftlich und historisch. Es wimmelt von Auswandererfamilien, eben die, die vor langer Zeit hierhergekommen sind und man sieht es denen noch an, denn das Tal war lange abgeschottet. Niemand wollte da leben und bis 1975 gab es nur einen Trampelpfad dorthin.

Dabei war das Tal nicht unbewohnt, als die Siedler kamen, es gab indigene Stämme aus dem Urwald. Doch die peruanische Regierung wollte das Gebiet, mit ihnen genehmen Gruppen besiedeln und zugänglich machen. Der deutsche Forscher und Weltreisende Baron Kuno Damian von Schütz-Holzhausen traf mit der Regierung eine Abmachung: 10 000 Deutsche Siedler sollten über einen Zeitraum von sechs Jahren in die Region ziehen. Sie sollten Bauern und Handwerker sein und erhielten etwas Startkapital und Land. Ausserdem wurden die Reisekosten bis nach Peru übernommen und es hätte einen Weg dorthin gebaut werden sollen.

Dorfzentrum von Pozuzo.

Der Baron veröffentlichte das Angebot in einer preussischen Zeitung. Es fand Anklang. In Tirol wurde Joseph Egg als Priester gewonnen, die armen Familien dorthin zu begleiten. Dass ein Geistlicher dabei sein würde, gab den Familien natürlich Vertrauen. Aber so einfach war es nicht, die Siedler mussten auch tüchtig und Katholisch sein und einen einwandfreien Leumund haben. Das alles musste vom Pfarrer bescheinigt werden.

180 Tirolerinnen und Tiroler liessen sich auf das Abenteuer ein. Mit dem Zug ging es nach Antwerpen, wo sich 120 Rheinländer und Bayern anschlossen. Am 29. März 1857 verliess das Schiff den Hafen in Richtung Amerika. Ende Juli erreichte es Peru. Doch das Ziel war noch lange nicht erreicht.

Es ging weiter Richtung Osten über die Anden. Irgendwann gab es keinen Weg mehr. Sie mussten sich durchschlagen und einen bauen. Einige Starben auf dem Weg, andere liessen sich vorher nieder. Nach zwei Jahren, im Juli 1859, kamen schliesslich 156 Siedler (samt neuen Nachwuchs) in Pozuzo an.

Sie teilten sich auf: die Preussen gründeten den Weiler Prusia auf der einen Seite des Flusses, die Tiroler fanden in Pozuzo ihre Heimat. Später kamen weitere Siedlergruppen hinzu und die Gemeinde wuchs trotz aller Schwierigkeiten. Weitere Dörfer wie Oxapampa, Villa Rica oder Codo del Pozuzo wurden gegründet.

Nationalstrasse 5 nach Pozuzo.
LKW steckt fest.

Sie waren aber 100 Jahre lang fast von der Welt abgeschnitten und nur zu Fuss erreichbar. Erst vor 50 Jahren wurde eine Strasse nach Oxapampa gebaut, deren Zustand trotz Bezeichnung «Nationalstrasse» bis heute eher fragwürdig ist. Die Strecke ist schmal mit Ausbuchtungen, um aneinander vorbeizukommen. Ausserdem gibt es immer wieder Erdrutsche, die die Strecke eine Weile unpassierbar machen. Auch wir mussten kurz warten, weil sich ein Lastwagen festgefahren hatte und es kein durchkommen gab. Ein anderer LKW hat ihn dann herausgezogen.

Zwischen Tradition und Disneyland

Oxapampa selbst hat viel von seinem alten Charme verloren. Es tendiert eher zu einem Alpen-Disneyland für reiche Touristen aus der peruanischen Hauptstadt Lima zu werden. Prusia hat noch Charme, wir haben dort auch wunderbar gegessen (Schnitzel mit Kartoffelsalat) und die wunderschöne Natur und Gastfreundschaft genossen. Aber so richtig im lokalen, echten Leben angekommen sind wir erst in Codo del Pozuzo.

Das Dorf wurde 1967 gegründet und lange Zeit gemieden, weil hier neben Rinderzucht auch viele Kokapflanzen angebaut werden. Dementsprechend sind die Kartelle sehr präsent. Mittlerweile ist es aber recht ruhig, wenn auch nicht wirklich sehenswert. Trotzdem haben wir eine Kollegin von Michi, die als Volunteer dort war, besucht und wurden von der Familie des Betreuers herzlich aufgenommen.

Kinder am Tanzen in der Tracht.

Es waren schöne Weihnachten. Wir haben ihre Weihnachtsaufführungen gesehen, wo der Krampus (Österreichischer Schmutzli) die bösen Kinder entführt und haben dabei ein bisschen Polka tanzen gelernt. Denn hier tanzen sie noch ganz traditionell Polka und Walzer. Es gibt ganze Jugendgruppen und grosse Wettbewerbe zwischen den Dörfern der Region.

Deutsch, spricht fast niemand mehr, und wenn, dann ist es für uns schwer verständlich. Denn den Tiroler Dialekt, und dann auch noch den alten, verstehen nur noch die echten Einheimischen von Pozuzo.

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