Auftauchen. Luft holen. Abtauchen. Jagen. Und dabei den Schiffen ausweichen. So ähnlich leben die Meeressäuger in der Strasse von Gibraltar.
Dort, wo Europa und Afrika aufeinandertreffen und der Atlantik das Mittelmeer mit Frischwasser und Nahrung versorgt. Dort, wo sich täglich mehr als 300 Schiffe durch die Meerenge drängen. Dort liegt Tarifa: der südlichste Zipfel des europäischen Festlandes, nur 14 Kilometer von Marokko entfernt.

Vor fünf Millionen Jahren, als das Mittelmeer fast ausgetrocknet war, brach der Damm zum Atlantik und es füllte sich wieder mit Wasser. Heute zeigt nur noch das Sonar der Schiffe, wie die Landschaft unter Wasser aussieht: Der Damm ist noch da. Der Meeresboden steigt vom Atlantik kommen an der Camarinal-Schwelle auf 300 Meter an und fällt dann abrupt auf 1000 Meter ab. Das kalte, salzarme Atlantikwasser schiebt sich über das warme, salzhaltige Mittelmeerwasser. Es dauert eine Weile, bis sich das kalte Wasser erwärmt und sich mit dem warmen vermischt hat. In der Zwischenzeit bietet es Tausenden von Tieren eine paradiesische Nahrungsquelle, darunter Delfine und Wale.
Die ständigen Bewohner
Drei Delfinarten sind das ganze Jahr über anzutreffen: der Gewöhnliche Delfin, der Gestreifte Delfin und der Grosse Tümmler. Sie leben in grossen, gemischten und unsteten Schulen. Sie sind auch am leichtesten zu beobachten, da Delfine die Bugwelle von Booten nutzen, um schneller voranzukommen. Dabei wird jedes Boot genutzt. Ihre Wendigkeit und Schnelligkeit schützt sie auch vor grösseren Kollisionen mit Schiffen.


Grindwale (auch Pilotwale genannt) sind ebenfalls ganzjährig in Familiengruppen anzutreffen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass Grindwale sich Strömungsabhängig erholen. Wenn die Strömung nachlässt, ruhen sie sich aus. Während des Schlafs sind sie weniger agil und können nicht immer rechtzeitig vor herannahenden Schiffen fliehen. Auch der Morbillivirus hat ihren Bestand stark dezimiert. Kein einfaches Zuhause. Doch ganz zu bedauern ist diese Art nicht. Sie sind sehr territorial und verteidigen trotz ihrer relativ geringen Grösse von bis zu 7 Metern ihr Revier gegen Orcas und andere Wale.
McAuto: Thunfisch direkt von der Angel
Im Juli/August kommen die Orcas, auch bekannt als Schwertwale, in die Strasse von Gibraltar. Pünktlich zur Rückkehr der Thunfische in den Atlantik. Diese Orcas sind für ihre einzigartige Fangtechnik bekannt: McAuto, humorvoll von einigen Biologen genannt. Traditionell werden die Thunfische im August einzeln mit der Angel gefangen. An der Camarinal-Schwelle müssen alle Fische aus der Tiefe auftauchen. Sie schwimmen viel näher an der Oberfläche und es gibt viel mehr Tiere auf weniger Raum. Deshalb ist es dort auch einfacher, sie zu angeln. Die Fischer werfen ihre Köder aus und die Thunfische beissen an. Ein Sechser im Lotto – denkt man. Doch der Fisch ist noch nicht in trockenen Tüchern. Denn die Orcas warten schon. Sie schwimmen von unten an den Thunfisch heran und beissen ihn genau unter dem Kopf ab. Der Fischer zieht dann nur noch einen wertlosen Fischkopf samt Angelhaken heraus. Punkt für die Orcas.
Die Einzelgänger
Im Frühling und Herbst kommen die Pottwale, hauptsächlich Männchen vom Mittelmeer, um sich von Tiefseekalmaren zu ernähren. Die Anzahl variiert von Jahr zu Jahr. Im Jahr 2022 konnten die Guides der Walbeobachtungsfirma Turmares fast keine beobachten. Derzeit sollen sich etwa 6 Pottwale in der Meerenge aufhalten. Genau dort, wo die Meerenge am tiefsten ist, bleiben die Pottwale bis zu 80 Minuten unter Wasser. Nur mit viel Glück sieht man sie an der Oberfläche.

Schliesslich schwimmt auch noch das zweitgrösste Tier der Welt nahe der spanischen Küste in den Atlantik – der Finnwal. Der einzige Bartenwal durchschwimmt die Strasse innerhalb einer Stunde, meistens allein. Wohin? Das weiss man nicht genau. Und wann kommt er zurück? Auch ungewiss. Wahrscheinlich im Dezember, aber da gibt es keine Beobachtungsfahrten. Zu wenig Touristen vor Ort.
Was passiert an einem Ort, wo so viele Schiffe auf so viele Tiere treffen?
Erstaunlich wenig. Die Meerenge ist genau in der Mitte geteilt. Für die eine Hälfte ist die spanische Küstenwache zuständig, für die andere die marokkanische. Spanien kontrolliert die Schiffe in Richtung Atlantik, Marokko die Einfahrt ins Mittelmeer. In der Mitte bleibt etwas Platz, dort leben die meisten Tiere. Knapp, aber es würde gehen. Denn trotz der Grösse, sind Containerschiffe verletzungstechnisch das geringere Problem. Ihr Lärm lässt die Tiere frühzeitig fliehen. Aber da sind noch die kleinen und mittleren Schiffe, sie verursachen die meisten Verletzungen.

Doch der Lärm an sich ist auch gefährlich. Aber wahrscheinlich haben sich die Tiere gezwungenermassen daran gewöhnt. Denn das viele Futter birgt viele Vorteile.
Die Strasse von Gibraltar bietet eine einzigartige Natur. Trotz der vielen Schutzgebieten bleibt der Naturschutz auf der Strecke. Doch wer schützt die Tiere an der meistbefahrenen Meerenge der Welt zwischen zwei riesigen Häfen, zwei Kontinenten und zwei Meeren? Währenddessen weichen die Tiere den Schiffen und der Umweltverschmutzung so gut es geht weiterhin aus.
Die Meerenge von Gibraltar ist unheimlich interessant. Ob im Meer mit Walen und Fischen sowohl als auch am Himmel mit Geier, Adler und vielen Zugvögeln.
Immer wieder eine Reise wert. 😉